Exhibition:
Selected Artists 2012
NGBK - Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin, 2013

English

Sunah Choi's art registers and orchestrates. Her photo series scan the surface of objects or urban habitats for the beauty in the detail of found abstraction: be it in Index I, II (2010) the contact print of a geometric abstraction created by close-ups on Berlin street surfaces and facades in black and white; or in the slide installation Out There (2012) an archive of urban change generated over years in Choi's hometown Busan, Korea.
Abstraction is not exhausted in the reference to Western modernism or Eastern tradition, but at the same time encompasses concrete sensual reality along with possible sociological readings. Choi does not specify these readings: Just like the photo series, the installations and performances are free of expressions. What is to be said is mutely present in the parameters of materiality, detail, temporal and spatial sequence, and so on. This can be understood quite literally in the installation Züge (2011): Conceived for the Harburger Kunstverein, located in the former waiting room of the Harburg train station, it was a seven-meter-high curtain reaching from ceiling to floor. The semi-transparent white fabric moved motorized along a ceiling track; the circular section of the hall thus formed opened and closed in an apparently not entirely random spatio-temporal sequence. The title and soundscape of the trains pointed to an externally dictated rhythm, which Sunah Choi did not in fact implement slavishly, but channeled through her own perception: over the course of four hours, she had created notations on paper that subjectively recorded the beginning, length, and end of the sound of the trains passing through. The resulting intervals are, of course, not exact representations, but nevertheless create a translated impression of the pulse of urban life by means of a ghostly ephemeral shape and movement.
The work Ocean Skirt (2012) operates on a very similar principle. A photograph on Choi's website documents the notation process: it shows the sea on the coast of Korea, with a quartz watch in the foreground and numbers written down in ballpoint pen. The artist measures the seconds between incoming waves. At the Busan Biennale in 2012, Choi implemented this rhythm by placing a blue curtain, gathered like a pleated skirt, in front of a balcony-like gallery, which moved up and down in rhythm with the waves, controlled by a motor. This dance of things determined by technology and nature is a recurring motif in Choi's work, as is the steering of "dead" things into organically reorganizing, life-like patterns, as expressed in her performances on the overhead projector. Over the course of one or more hours, Choi arranges opaque or semi-transparent transparencies, photographs, or objects on the device, creating a live photogram-like film in which, for example, a line of round objects (button, bottle cap, chestnut, etc.) strung as if on a string appears in the projection like a representation of the solar system, or a tangle of staples and paper snippets like a microscopic image of single-celled organisms. As I said, Sunah Choi's art registers and orchestrates.

Jörg Heiser

The text of Jörg Heiser was written for the catalogue "Selected Artists 2012"
Exhbition "Selected Artists 2012"
Scholarship holders of the "Arbeitsstipendiums für Bildende Kunst" of the Berlin Senat 2012
NGBK - Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin
19. January - 10. February 2013

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Deutsch

Sunah Chois Kunst registriert und orchestriert. Ihre Fotoserien tasten die Oberfläche von Gegenständen oder städtischen Lebensräumen ab nach der Schönheit im Ausschnitt gefundener Abstraktion: sei es bei Index I, II (2010) der Kontaktabzug einer durch Close-Ups auf Berliner Straßenoberflächen und Fassaden erzeugten geometrischen Abstraktion in Schwarzweiß; oder bei der Dia-Installation Out There (2012) ein über Jahre hinweg erzeugtes Archiv urbaner Veränderung in Chois Heimatstadt Busan, Korea.
Abstraktion erschöpft sich nicht im Verweis auf westlichen Modernismus oder östliche Tradition, sondern umfasst zugleich konkrete sinnliche Wirklichkeit mitsamt möglicher soziologischer Lesarten. Diese Lesarten gibt Choi nicht vor: So wie die Fotoserien sind auch die Installationen und Performances frei von Ausdrücklichkeiten. Das zu Sagende ist stumm präsent in den Parametern Stofflichkeit, Ausschnitt, zeitliche und räumliche Sequenz etc. Ganz wörtlich darf man das bei der Installation Züge (2011) verstehen: Konzipiert für den im ehemaligen Wartesaal des Harburger Bahnhofs gelegenen Harburger Kunstverein, handelte es sich um eine sieben Meter hohe, von Decke zu Boden reichende Gardine. Der halb transparente weiße Stoff bewegte sich motorisiert entlang einer Deckenschiene; der so gebildete Kreisauschnitt des Saals öffnete und schloss sich in einer offenbar nicht völlig zufälligen räumlich-zeitlichen Sequenz. Titel und Geräuschkulisse der Züge wiesen auf eine äußerlich diktierte Rhythmik, die Sunah Choi allerdings tatsächlich nicht sklavisch umsetzte, sondern kanalisierte durch ihre eigene Wahrnehmung: Über vier Stunden hinweg hatte sie auf Papier Notate erstellt, die subjektiv Anfang, Länge und Ende des Klangs der durchfahrenden Züge festhielten. Die resultierenden Intervalle sind natürlich keine exakten Repräsentationen, aber dennoch entsteht ein übersetzter Eindruck vom Puls des urbanen Lebens mittels einer geisterhaft ephemeren Gestalt und Bewegung.
Nach einem ganz ähnlichen Prinzip funktioniert die Arbeit Ocean Skirt (2012). Ein Foto auf Chois Website dokumentiert den Notationsvorgang: Es zeigt das Meer an der Küste Koreas, im Vordergrund eine Quarzuhr und mit Kugelschreiber notierte Zahlen. Die Künstlerin misst die Sekunden zwischen den ankommenden Wellen. Bei der Busan Biennale 2012 setzte Choi diesen Rhythmus um, indem sie einen blauen, ähnlich wie ein Faltenrock gerafften Vorhang vor einer balkonartigen Empore platzierte, der sich motorgesteuert im Rhythmus der Wellen auf und zu bewegte. Dieser von Technologie und Natur bestimmte Tanz der Dinge ist ein ebenso wiederkehrendes Motiv bei Choi wie die, etwa in ihren Performances am Overheadprojektor, zum Ausdruck kommende Lenkung „toter“ Dinge zu sich organisch stets neu organisierenden, lebensähnlichen Mustern. Über den Zeitraum einer oder mehrerer Stunden arrangiert Choi opake oder semi-transparente Folien, Fotos oder Objekte auf dem Gerät, so dass ein live gelegter Fotogramm-artiger Film entsteht, bei dem beispielsweise eine wie auf einer Schnur aufgereihte Linie von runden Objekten (Knopf, Flaschenverschluss, Kastanie etc.) in der Projektion wie eine Darstellung des Sonnensystems wirkt oder ein Gewirr von Heftklammern und Papierschnipseln wie eine mikroskopische Aufnahme von Einzellern. Wie gesagt: Sunah Chois Kunst registriert und orchestriert.

Jörg Heiser

Der Text von Jörg Heiser wurde geschrieben für den Katalog "Selected Artists 2012"
Ausstellung "Selected Artists 2012"
Stipendiatinnen und Stipendiaten des Arbeitsstipendiums für Bildende Kunst des Berliner Senats 2012
NGBK - Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin
19. Januar - 10. Februar 2013