Exhibition:
Sunah Choi
Galerie Cinzia Friedlaender, Berlin, 2011
English
The line functions as a basic element: defining surfaces, generating connections and marking bounderies. In her new works, Sunah Choi explores this diverse range of possibilities and functions.
Wall Piece (2011) - composed of several construction site barriers arranged in a line - divided the length of the large room of the gallery into two sections and prescribed a specific way of walking around and reading the work to get closer to it. The barriers on their concrete feet were concentrated in the centre of the room, with their narrow metal rods overlapping and converging to form a dense network of lines. Wall Piece initially appeared to be a recontextualization of material found on the street, separated from its original function and given a new treatment. The remains of torn placards, posters or announcements could be seen at several points on the barrier. Yet it's paper that the artist herself carefully placed there; the work is completely staged.
The recurring theme in Choi's work is not only the line but als the relationship of lines to each other in space. Accordingly, the barrier must be completely removed from its original context. But this step is not fully carried out - the barrier still blocks and divides the space, even though both sides can be accessed. Choi does not completely invert form and function; instead she makes their manipulation visible. The right angle of the rods and the primary colours of the paper scraps form the outline of an image while the white wall functions as background and fills out the surfaces.
With Wall Piece, Choi moves from the two-dimensionality of her earlier collages - for example, the series Briefly (2009) - to a space installation, a step that in turn generates new images. She also employed this principle in her performance Composition T (2010) at Berlin's SPLACE, where she continually rearranged various materials and everyday objects, such as glass and photographs, on an overhead projector and generated new shadow images on the wall.
The second series of paper works - Abdrücke (Imprints, 2011) - manifests a similar approach to materials. Using graphite, Choi transferred the surface forms of gratings or asphalt found on the street onto sheets of paper; she wandered through urban space and used the frottage technique to document the various found forms. Although the compositions were made in the city, the large sheets appear as if they had been smoothed out for the exhibition; hardly any indentations, holes, punctures or creases can be seen. This contradicts Choi's claim that the performative act should be in the foreground. Only a few fingerprints and stains at various points still bear witness to this act. Once again, she only reveals a small part of her staging technique. Choi could further exploit the potential of her key questions - nevertheless this exhibition displays a consistent development in her work.
Nina Köller
The review of Nina Köller was published in Frieze d/e, Issue 2, Autumn 2011
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Deutsch
Die Linie fungiert als Grundelement in der bildenden Kunst: Sie definiert Flächen und Räume, sie schafft Verbindungen und markiert Grenzen. Diese unterschiedlichen Möglichkeiten und Funktionen untersuchte Sunah Choi in ihren neuen Arbeiten. Wall Piece (2011) etwa umfasst mehrere in einer Linie aufgestellte Bauzäune, die den großen Raum der Galerie der Länge nach in zwei Abschnitte teilen und eine bestimmte Gang- und Lesart zur Annäherung der Arbeit vorgeben. Zur Raummitte hin verdichten sich die in Betonfüßen stehenden Zaunelemente, die schmalen Metallstäbe des Zauns überlappen sich und schieben sich zu einem Liniengeflecht zusammen. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine neue Verortung von auf der Straße gefundenem Material, das aus seiner ursprünglichen Funktion herausgelöst und neu verhandelt wird. Die Reste von abgerissenen Plakaten, Postern oder Ankündigungen sind noch an einigen Stellen am Bauzaun zu sehen. Auf den zweiten Blick wird aber deutlich, dass man es hier mit Papier zu tun hat, das von der Künstlerin sorgfältig innerhalb des Zaunes gesetzt wurde. Die Arbeit ist also eine vollständige Inszenierung.
Das immer wiederkehrende Thema in Chois Arbeiten ist nicht nur die Linie, sondern auch das Verhältnis mehrerer Linien im Raum zueinander. Dementsprechend sollte der Bauzaun vollkommen aus seinem ursprünglichen Kontext herausgelöst werden. Dieser Schritt wird allerdings nicht bis zum Ende vollzogen – nach wie vor fungiert der Zaun als Absperrung und Raumtrennung, auch wenn er nun diesseits und jenseits begehbar ist. Choi verkehrt die Zuweisung von Form und Funktion nicht vollständig, vielmehr macht sie ihre Manipulation sichtbar. Die rechten Winkel der Streben und Primärfarben der Papierreste bilden nun die Umrisse eines Bildes, die weiße Wand fungiert als Hintergrund und füllt die Flächen auf. Mit Wall Piece bewegt sich Choi von der Zweidimensionalität ihrer früheren Collagen – etwa aus der Serie Briefly (2009) – hin zur Rauminstallation und schafft durch diesen Schritt wiederum neue Bilder. Dieses Prinzip hatte sie auch bei ihrer Performance Composition T (2010) bei Splace in Berlin angewandt. Dort hatte sie auf einem Overhead-Projektor verschiedene Materialien und Alltagsgegenstände wie Glas oder Fotografien immer wieder neu angeordnet und damit Bilder an die Wand gezeichnet.
Auch die zweite in der Ausstellung gezeigte Serie von Papierarbeiten – Abdrücke (2011) – offenbart einen ähnlichen Umgang mit dem Material. Hier übertrug Choi mit Graphit die auf der Straße gefundenen Formen von Bodengittern oder Asphalt auf an der Wand hängende Papierbögen; sie streifte durch den städtischen Raum und dokumentierte mit Hilfe der Frottage die verschiedenen gefundenen Formen. Die Komposition erfolgte meist direkt während der Entstehung draußen in der Stadt. Dennoch wirken die großen Bögen für die Ausstellung geglättet, es sind kaum Abdrücke, Löcher, Durchschläge oder Knicke zu sehen. Sie widersprechen so dem Anspruch Chois, dass hier vor allem der performative Akt im Vordergrund stehen soll. Nur einige Fingerabdrücke und Flecken deuten an wenigen Stellen noch darauf hin. Auch hier gab sie nur einen kleinen Teil ihrer Inszenierung preis. Choi könnte das Potenzial, das in ihren Fragestellungen zu finden ist, noch weiter ausschöpfen - dennoch zeigte mit dieser Ausstellung eine konsequente Weiterentwicklung ihrer Arbeiten.
Nina Köller
Die Review von Nina Köller wurde veröffentlicht in Frieze d/e, Ausgabe 2, Herbst 2011