Exhibitions:
German Open, Kunstmuseum Wolfsburg, 1999
Eine Munition unter anderen, Frankfurter Kunstverein, 2000

Deutsch

Die Manipulation ist offensichtlich, doch die Faszination der Choreographie bleibt

Startende Raketen, Flugphasen und Explosion, Flugzeuge beim Bombardement, im Sturz- oder Formationsflug, sinkende Kriegsschiffe, Panzer, Aufnahmen von Kriegsschauplätzen, Bombenhagel und brennende Häuser: Die Videoarbeiten von Sunah Choi montieren Bilder aus Dokumentationen, Fernsehfeatures und -nachrichten zu einem neuen Ganzen, das den originären Kontext der einzelnen Szenen weitestgehend ausblendet. Das Dokumentarische der Bilder löst sich auf in einer Montage, die kurze Szenen zu einer filmischen Choreografie fügt, deren rhythmisierte Struktur der Melodie der Begleitmusik folgt. Die Musik wiederum besteht aus Evergreens mit hohem Bekanntheitsgrad, die intuitiv eine gewisse Nostalgie beschwören. Aus diesem Zusammenspiel entstehen zwei im Raum aufeinander bezogene, alternierende Projektionen: Cheek to Cheek und Dein ist mein ganzes Herz. Die populären Melodien, die den Videos ihre Titel geben, begleiten jedoch Bilder, die in relativem Kontrast zu den von der Musik evozierten Emotionen stehen. Formal passen Bild und Ton nicht zusammen, rhythmisch ist ihre Synthese jedoch perfekt. Das latente Pathos der Arie von Franz Léhar korrespondiert dem Crescendo der startenden Raketen in ihrer phallischen Konnotation, der Swing des Klassikers von Irving Berlin den Akkorden aus Bomben und Explosionen. Die Richtungsvektoren der Flugbahnen folgen der Melodie, die Schnitte dem Takt der Musik. Auf visueller Ebene sprechen diese Bilder von Krieg, Schrecken und ungebrochener Technikfaszination, doch ihre Inszenierung suggeriert eine beschwingte Leichtigkeit, der man sich nur schwer entziehen kann. Beide Videos zelebrieren die Schönheit, indem sie dynamische Szenen zu einer Choreografie fügen, die ganz dem Rhythmus der Musik unterworfen ist. Diese Ornamentalisierung der (Kriegs-) Technologie löst die Objekte in der Form auf, um sie als ästhetisierte Oberfläche zu inszenieren. Die vertrauten Klänge der Melodien forcieren die Idee eines harmonischen Zusammenspiels, das eine neue Relation herstellt zwischen der textuellen Ebene der Tonspur und den Bildern, die sie untermalt. Heaven, I’m in heaven..., dazu Kampfflugzeuge im Sturzflug: MTV im Retro-Design?
Gerade dieses Nicht-Lineare und der auf höherer Ebene letztlich sich wieder auflösende Widerspruch der Komposition produzieren eine Ästhetik des Schreckens, die gefährlich verführerisch daherkommt. Kriegsflugzeuge, Bombenhagel und Panzerformationen sind nicht schön, aber in dieser perfekten Komposition scheint die so gern gestellte Frage nach der Moral obsolet., Die nostalgische Musik dämpft das Visuelle ab, codiert die Bilder neu und entpolitisiert sie in einer Ästhetisierung, die sich für das optische Spektakel begeistert. Krieg wird zum pyrotechnischen Event, Raumfahrt zum Höhenfeuerwerk. Man muss nicht Marinetti zitieren („Der Krieg ist schön, weil er neue Architekturen, wie die der großen Tanks, der geometrischen Fluggeschwader, der Rauchspiralen aus brennenden Dörfern und vieles andere schafft...“), um die Ästhetisierung des Krieges zu erkennen. Man könnte auch an die Propagandafilme denken, leichte Unterhaltung, eingängige Melodien - so sah und sieht das Radio- und Fernsehprogramm in Kriegszeiten aus. Lili Marleen oder aber Marilyn Monroe, vor Soldaten singend, als strategisches Ablenkungsmanöver der Entertainment-Front. Auch die UFA-Filmproduktion aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs setzt auf die harmlose Unterhaltung, die im Subtext die Propagandamaschine subtil, aber wirkungsvoll mitlaufen lässt.
Sunah Chois Arbeiten gehen davon aus, dass dem Medium Film vielfach unterstellt wird, im Gegensatz etwa zum Text ein privilegiertes Verhältnis zu seinen Referenzobjekten zu besitzen. Das meint nicht nur das Festhalten der Wirklichkeit, indem das von der Kamera erblickte Objekt als Spur auf Zelluloid gebannt wird. Ganz allgemein verwandelt der Film die sichtbare Welt in eine Dingwelt, die sich endlos reproduzieren lässt und so das Vergangene immer wieder aktualisiert. Darin liegt sein eigentümlicher Bezug zum Vergangenen, ja auch zum Geschichtlichen, das es visuell in die Gegenwart zu retten scheint. Doch mit dem Primat des Optischen stößt der Film auch an seine Grenze, denn seine Macht der Reproduktion beschränkt sich auf die physische Wirklichkeit: Nur das, was visualisierbar ist, lässt sich auch im kollektiven Gedächtnis speichern. Dieses Gedächtnis als gigantisches Bildarchiv rekurriert immer wieder auf bestimmte Gebilde, die als Ikonen der in ihnen verdichteten Ereignisse figurieren. Unter dem Aspekt des Dokumentarischen mit seinem Anspruch objektiver Repräsentation ist das filmische Bild jedoch ein recht unzuverlässiger Zeuge, da seine Wiedergabe des Sichtbaren auch eine Frage des Blickwinkels ist - zu der abzubildenden Wirklichkeit gilt es sich in ein Verhältnis zu setzen, und auch die Montage produziert ein neues, unter Umständen ganz anderes Bild dieser Wirklichkeit. Im Film unterliegen die Dinge deshalb einem ganzen Komplex von Bedeutungen, der sich erst in der Abfolge der Bilder entfaltet. Sinn verleiht ihnen allein der filmische Zusammenhang, in dem sie erscheinen, die Kombination der Bilder und die Interferenz aus Bild und Ton.
Die Videos von Sunah Choi kommentieren diese Problematik nicht, sondern führen vor, wie Bilder sich neu codieren lassen, wie die Semantik sich ändert je nach Kontext. Die Szenarien aus brennenden Häusern und detonierenden Bomben werden zu Bildfolgen zusammengeschweißt, bis sie aussehen wie ein mechanisches Ballett. Tatsächlich erinnert die Videoinstallation aus Dein ist mein ganzen Herz und Cheek to Cheek an die Ästhetik früher Experimentalfilme, die die rhythmische Qualität der Montage zum primären Gestaltungsmerkmal erheben. Fernand Légers Ballet mécanique aus dem Jahr 1924 beispielsweise fokussiert allein die Struktur und den Rhythmus der Wirklichkeit, die erst als dynamisierte ihre spezifisch moderne Qualität offenbart. Der Gegenstand als solcher ist hier im Vergleich zu seiner medial verfremdeten optischen Präsenz wenig relevant. Léger operiert jedoch hauptsächlich mit Küchengeräten, prismatisch gebrochenen Schneebesen, rotierenden Topfdeckeln oder endlos hin- und herschwingenden Schaukeln. Bei Sunah Choi erscheint die Verfremdung des Wirklichen wesentlich brutaler, wenn Krieg und Zerstörung so entkontextualisiert daherkommen. Die Manipulation des filmischen Materials ist offensichtlich, doch die Faszination der Choreografie bleibt. Das ist die Strategie der kommerziellen Verführung von Werbespots in ihrer Idealisierung der Wirklichkeit, oder Musik-Clips, bei denen das Visuelle sich ganz der Tonspur unterordnet. Die Montage ist die Manipulation, die Ästhetisierung der Wirklichkeit eine Frage der Präsentation. Die audiovisuelle Medienmaschine steuert erfolgreich aller Ratio entgegen. Sunah Chois Videoinstallation zeigt den Mechanismus, enthält sich aber des Kommentars.
Ihre Montage bringt zusammen, was scheinbar nicht zusammen passt und stellt überraschende Korrespondenzen her. In ihrer formalen Abstraktion suggerieren die Bilder zudem eine Vertrautheit, die realiter überhaupt nicht eingelöst werden kann.
Ihre Orchestrierung der Wirklichkeit wirkt wie eine hypertrophe Version der Aufladung bestimmter Bilder, die als Ikonen historischer Ereignisse gelten. Das liegt daran, dass Sunah Choi mit dokumentarisch anmutenden Aufnahmen arbeitet, die Chromatik der Bilder jedoch so verfremdet, dass sämtliche Bilder aussehen wie Aufnahmen aus den späten sechziger Jahren. Über den Kriegsbildern liegt der sepiafarbene Schleier der Vergangenheit, der homogenisiert, was aus ganz unterschiedlichen Quellen stammt. Diese Homogenität täuscht über die dem Film angeblich eingeschriebene Historizität hinweg. Als Dokumente von Geschichte verlieren die Bilder ihre Evidenz, gerade weil sie glauben machen, man könne sich an sie erinnern. Wie die Musik handelt es sich um Bilder, die man zu kennen meint, weil sie scheinbar zu einem globalen Medienarchiv gehören und sich in ihrer ständigen Wiederholung ins Gedächtnis gebrannt haben. Geschichte, das machen diese seltsam ort- und zeitlosen Aufnahmen deutlich, wird oft gleichgesetzt mit den Bildern von Geschichte. Ereignisse reduzieren sich auf emblematische Bilder, die den Zuschauer an dem Ereignis partizipieren lassen, auch wenn es sich um eine Übertragung aus Ländern handelt, in denen man noch niemals war, oder um Kriege, die man nur aus dem Fernsehen kennt. Das Mediale rückt das Ferne in die Nähe und verwandelt die Vergangenheit in das Jetzt. Ganz abgesehen davon, dass sich diese Vergangenheit nicht nach der Logik einer chronologischen Abfolge der Zeit rekonstruieren lässt, lebt der Film als Verfahren von der Manipulation von Zeit und Raum, die er beide in die Aktualität des projizierten Bildes versetzt. Immer da, immer nah, so strukturiert der televisuelle Blick das Verhältnis zur Wirklichkeit. Seine Konstruiertheit verrät er, auf Authentizität bedacht, indessen nicht.

Vanessa Joan Müller

Der Text von Vanessa Joan Müller wurde geschrieben für die Ausstellung
"Eine Munition unter anderen"
02. August - 01. Oktober 2000
Frankfurter Kunstverein, Frankfurt